Lange wurde über die Änderung der Gefahrstoffverordnung diskutiert, nun ist es offiziell: Die Bundesregierung hat die Novelle verabschiedet, und die neuen Regelungen treten noch in diesem Jahr in Kraft. Die Verordnung betrifft zahlreiche Bereiche des Arbeits- und Gesundheitsschutzes und setzt neue Standards für den Umgang mit gefährlichen Stoffen.
Für Unternehmen, Bauherren und Arbeitgeber bringt die Novelle einige bedeutende Veränderungen mit sich. Besonders betroffen sind Branchen, die mit krebserregenden Stoffen arbeiten oder bauliche Maßnahmen an Bestandsgebäuden durchführen. Doch was genau verbirgt sich hinter den Neuerungen? Welche Auswirkungen haben sie auf die Praxis? In diesem Beitrag nehmen wir die wichtigsten Änderungen unter die Lupe und erklären, worauf sich Unternehmen und Bauherren einstellen müssen.
Ein Meilenstein für den Arbeitsschutz
Das Bundesarbeitsministerium (BMAS) bezeichnet die neue Gefahrstoffverordnung als “Meilenstein für den Arbeitsschutz”. Besonders der Schutz vor krebserregenden Stoffen wurde verbessert. Die neuen Regelungen sorgen für eine höhere Rechtssicherheit für Arbeitgeber und führen zu strengeren Vorgaben für Bauherren und Auftraggeber.
Ein besonderer Fokus liegt auf dem Umgang mit Asbest und anderen gesundheitsgefährdenden Stoffen. Die Verordnung setzt damit auch die Ergebnisse des Nationalen Asbestdialogs (2016–2019) um, der zum Ziel hatte, den Umgang mit Asbest zu verbessern und die Gefahren für Arbeitnehmer zu minimieren.
Die wichtigsten Neuerungen im Überblick
1. Neue Informationspflichten für Bauherren
Die novellierte Gefahrstoffverordnung verpflichtet Bauherren und Auftraggeber, alle ihnen vorliegenden Informationen zur Bau- oder Nutzungsgeschichte eines Gebäudes an die ausführenden Unternehmen weiterzugeben. Dies umfasst insbesondere Hinweise auf mögliche Gefahrstoffe wie Asbest. Ziel ist es, potenzielle Gefährdungen frühzeitig zu identifizieren und geeignete Schutzmaßnahmen zu ergreifen.
Praktische Umsetzung:
- Datenbereitstellung: Bauherren müssen vorhandene Unterlagen, wie Baupläne, Renovierungsprotokolle oder Materiallisten, auf relevante Informationen prüfen und diese den ausführenden Firmen zur Verfügung stellen.
- Kommunikation: Ein offener Informationsaustausch zwischen Bauherren und Auftragnehmern ist essenziell, um Risiken zu minimieren und die Sicherheit auf der Baustelle zu gewährleisten.
Diese Regelung soll sicherstellen, dass potenzielle Gefahren frühzeitig erkannt und entsprechende Schutzmaßnahmen ergriffen werden können.
2. Strengere Anforderungen an Fachkunde und Schulungen
Die Verordnung legt besonderen Wert auf die Qualifikation der Beschäftigten im Umgang mit Gefahrstoffen. Unternehmen sind verpflichtet, sicherzustellen, dass ihre Mitarbeiter über die notwendige Sach- und Fachkunde verfügen. Für Tätigkeiten mit Asbest wurden die Anforderungen konkretisiert.
Konkret bedeutet das:
- Schulungsinhalte: Mitarbeiter müssen in regelmäßigen Abständen Schulungen absolvieren, die aktuelle gesetzliche Vorgaben, sichere Arbeitsverfahren und Notfallmaßnahmen beinhalten.
- Nachweispflicht: Unternehmen müssen die Teilnahme an Schulungen dokumentieren und auf Verlangen der Aufsichtsbehörden vorlegen können.
- Übergangsfrist: Für die Umsetzung dieser Anforderungen gilt eine Übergangsfrist von drei Jahren, um den Betrieben ausreichend Zeit zur Anpassung zu geben.
Diese Maßnahmen sollen sicherstellen, dass alle Beteiligten über das notwendige Wissen verfügen, um Gefährdungen zu minimieren und die Gesundheit der Beschäftigten zu schützen.
3. Erweiterte Kennzeichnungspflichten
Die Novelle der Gefahrstoffverordnung sieht vor, dass Unternehmen detailliertere Informationen auf den Etiketten gefährlicher Stoffe angeben müssen. Ziel ist es, die Sicherheit am Arbeitsplatz zu erhöhen und sicherzustellen, dass Beschäftigte die Risiken der verwendeten Stoffe schnell und eindeutig erkennen können.
Wesentliche Änderungen:
- Gefahrenpiktogramme: Verwendung standardisierter Symbole zur schnellen Identifikation von Gefahren.
- Signalwörter: Angabe von Warnhinweisen wie “Achtung” oder “Gefahr” zur Einstufung des Risikograds.
- Gefahren- und Sicherheitshinweise: Konkretisierung der Risiken und Hinweise auf sichere Handhabung.
- Stoffidentität: Klare Benennung des Stoffes und seiner Konzentration.
Diese erweiterten Kennzeichnungspflichten sollen dazu beitragen, Unfälle zu vermeiden und das Bewusstsein für den sicheren Umgang mit Gefahrstoffen zu schärfen.
4. Strengere Grenzwerte für Gefahrstoffe
Die Verordnung führt neue, niedrigere Expositionsgrenzwerte für bestimmte gefährliche Substanzen ein, um die Gesundheit der Beschäftigten besser zu schützen. Diese Grenzwerte legen fest, in welcher Konzentration ein Stoff am Arbeitsplatz maximal vorhanden sein darf, ohne die Gesundheit der Mitarbeiter zu gefährden.
Beispiele:
- Asbest: Die zulässige Faserstaubbelastung wurde deutlich reduziert, um das Risiko asbestbedingter Erkrankungen weiter zu minimieren.
- Quarzfeinstaub: Auch hier wurden die Grenzwerte gesenkt, um Lungenerkrankungen vorzubeugen.
Umsetzung:
- Messungen: Regelmäßige Überprüfung der Luftqualität am Arbeitsplatz durch geeignete Messverfahren.
- Schutzmaßnahmen: Bei Überschreitung der Grenzwerte sind sofortige Maßnahmen wie verbesserte Lüftung oder der Einsatz persönlicher Schutzausrüstung erforderlich.
Diese Anpassungen sollen langfristig das Risiko berufsbedingter Erkrankungen reduzieren und ein gesundes Arbeitsumfeld fördern.
5. Verbot besonders gefährlicher Stoffe
Die neue Gefahrstoffverordnung verbietet den Einsatz bestimmter krebserregender oder mutagener Stoffe vollständig. Unternehmen sind daher verpflichtet, auf weniger gefährliche Alternativen umzusteigen.
Betroffene Stoffe:
- Bestimmte Asbestarten: Der Einsatz von Asbest ist bereits seit Jahren verboten, jedoch gibt es nun weitere Konkretisierungen und Ausweitungen des Verbots.
- Einige aromatische Amine: Diese wurden aufgrund ihres hohen Gefährdungspotenzials ebenfalls verboten.
Alternativen:
- Ersatzstoffe: Unternehmen müssen prüfen, ob ungefährlichere Stoffe mit vergleichbarer Funktion eingesetzt werden können.
- Verfahrensänderungen: Gegebenenfalls sind Produktionsprozesse anzupassen, um den Einsatz gefährlicher Stoffe zu vermeiden.
Dieses Verbot zielt darauf ab, die Exposition der Beschäftigten gegenüber hochgefährlichen Stoffen zu eliminieren und somit das Gesundheitsrisiko erheblich zu senken.
6. Risikobasiertes Maßnahmenkonzept
Ein zentrales Element der Novelle ist das risikobasierte Maßnahmenkonzept, oft als “Ampel-Modell” bezeichnet. Dieses Konzept kategorisiert die Risiken beim Umgang mit Gefahrstoffen in drei Stufen und legt entsprechende Schutzmaßnahmen fest.
7. Maßnahmenplan bei Grenzwertüberschreitungen
Die novellierte Gefahrstoffverordnung legt fest, dass Unternehmen verpflichtet sind, einen detaillierten Maßnahmenplan zu erstellen, wenn bei Tätigkeiten mit krebserzeugenden Gefahrstoffen der Kategorien 1A oder 1B die Arbeitsplatzgrenzwerte überschritten werden oder die Tätigkeiten im Bereich mittleren Risikos liegen.
Inhalt des Maßnahmenplans:
- Geplante Schutzmaßnahmen: Konkrete Schritte zur Reduzierung der Exposition gegenüber den Gefahrstoffen.
- Angestrebte Expositionsminderung: Festlegung spezifischer Ziele zur Senkung der Schadstoffbelastung am Arbeitsplatz.
- Zeitlicher Rahmen: Klare Zeitvorgaben für die Umsetzung der Maßnahmen.
Zusätzlich müssen Unternehmen die ermittelte Exposition und den erstellten Maßnahmenplan der zuständigen Behörde mitteilen.
8. Containment-Trend: Geschlossene Systeme als Standard
Die aktualisierte Verordnung betont die Bedeutung von geschlossenen Systemen (Containment) beim Umgang mit krebserzeugenden und fortpflanzungsgefährdenden Stoffen. Diese Systeme verhindern den direkten Kontakt zwischen Beschäftigten und Gefahrstoffen, indem sie die Substanzen in abgeschlossenen Bereichen halten.
Vorteile von Containment-Systemen:
- Erhöhter Schutz: Minimierung des Risikos für Beschäftigte durch Vermeidung direkter Exposition.
- Umweltschutz: Reduzierung der Freisetzung gefährlicher Stoffe in die Umgebung.
- Effizienz: Optimierung von Arbeitsprozessen durch kontrollierte Handhabung von Gefahrstoffen.
Die Verordnung gibt geschlossenen Systemen und technischen Schutzmaßnahmen den Vorrang, um ein Höchstmaß an Sicherheit zu gewährleisten.
9. Neue Gefahrenklassen in der CLP-Verordnung
Ab dem 1. Mai 2025 führt die CLP-Verordnung (Classification, Labelling and Packaging) neue Gefahrenklassen für Stoffe ein, die ab dem 1. Mai 2026 auch für Gemische gelten. Diese Erweiterungen zielen darauf ab, gefährliche Eigenschaften von Chemikalien präziser zu erfassen und die Sicherheit zu erhöhen.
Neue Gefahrenklassen:
- Endokrine Disruptoren: Stoffe, die das Hormonsystem beeinflussen und gesundheitliche Schäden verursachen können.
- Persistente, bioakkumulierbare und toxische Stoffe (PBT): Chemikalien, die in der Umwelt schwer abbaubar sind, sich in Organismen anreichern und toxisch wirken.
- Sehr persistente und sehr bioakkumulierbare Stoffe (vPvB): Stoffe mit extrem langer Lebensdauer und hoher Anreicherung in Lebewesen.
- Persistente, mobile und toxische Stoffe (PMT): Chemikalien, die langlebig, wasserlöslich und giftig sind.
- Sehr persistente und sehr mobile Stoffe (vPvM): Stoffe, die besonders langlebig und mobil in der Umwelt sind.
Unternehmen sind angehalten, ihre Produkte entsprechend neu zu bewerten, zu kennzeichnen und gegebenenfalls Sicherheitsdatenblätter zu aktualisieren, um den neuen Anforderungen gerecht zu werden. Diese Anpassungen in der CLP-Verordnung sollen ein höheres Schutzniveau für Mensch und Umwelt gewährleisten und die Transparenz im Umgang mit gefährlichen Stoffen verbessern.
Kritik und offene Fragen
Nicht alle sind mit der neuen Verordnung zufrieden. Branchenverbände kritisieren insbesondere das Fehlen einer verpflichtenden Erkundungspflicht für Bauherren. Zudem gibt es Bedenken hinsichtlich des steigenden Bedarfs an Gutachtern und Laboranalysen. Der Bundesrat empfahl zusätzliche Übergangsfristen, um eine reibungslose Umsetzung sicherzustellen.
Fazit: Ein wichtiger Schritt mit Herausforderungen
Die neue Gefahrstoffverordnung bringt deutliche Verbesserungen für den Arbeitsschutz und schärft die Verantwortung von Unternehmen und Bauherren im Umgang mit gefährlichen Stoffen. Strengere Grenzwerte, neue Informationspflichten und erweiterte Schulungsanforderungen stellen hohe Anforderungen an die betroffenen Branchen, bieten aber auch die Chance, den Arbeitsschutz langfristig zu verbessern.
Für Unternehmen bedeutet dies, dass sie ihre Sicherheitskonzepte und Schulungsprogramme zeitnah anpassen müssen. Wer sich frühzeitig mit den neuen Anforderungen auseinandersetzt und geeignete Maßnahmen zur Umsetzung trifft, kann nicht nur gesetzliche Vorgaben erfüllen, sondern auch einen wichtigen Beitrag zur langfristigen Gesundheit der Mitarbeiter leisten.
Die kommenden Monate werden entscheidend sein, um die Veränderungen effektiv in den Betriebsalltag zu integrieren. Unternehmen sollten die verbleibende Zeit nutzen, um ihre Gefahrenanalysen zu aktualisieren, ihre Mitarbeiter zu schulen und bestehende Sicherheitskonzepte zu überarbeiten. Wer proaktiv handelt, wird langfristig von einem verbesserten Schutz am Arbeitsplatz profitieren – und sich zugleich Wettbewerbsvorteile sichern.